Der Tauberbischofsheimer Ehrenbürger Hugo Pahl (1912-2005) beschreibt in seinem Heimatbuch „Bischemer Bösi Buwe“ (Selbstverlag, Tauberbischofsheim: FN-Druck 1955) auf Seite 62 einen alten Grenzstein. Auf der Bischofsheimer Seite wären drei B und das Mainzer Rad auf einem Wappenschild zu sehen, auf der Grünsfelder Seite ein G in einem Wappenschild. Beiderseits jedoch sei zudem „gegen alle Zweifel deutlich“ die Jahreszahl 1308 eingemeißelt. Pahl liefert auch Hinweise, wo dieser nun bereits über 700 Jahre alte Grenzstein stehen soll: „Wer ihn finden wollte, müsste halbwegs Dittigheim am Brückenwald vorbei den Daawerdleweg hinaufgehen, bis er auf der Höhe zu den Grünsfelder Tannen gelangt. Von hier aus bedarf es nur noch einiger Schritte rechterhand den Waldrand entlang, vorbei an einem Pflanzgarten, um plötzlich am Eingang zu einem Waldpfad den Gemarkungsstein vor sich zu sehen.“
Pahl bemerkt, dies sei die älteste Zahleninschrift von Tauberbischofsheim, und tatsächlich ist auf unserer Gemarkung wie auch in der Umgebung zumindest kein älterer datierter Grenzstein bekannt. Zwar notieren die bischemer Feldschieder bei ihrer Markungsbegehung im Jahre 1749 in unmittelbarer Abfolge zu „Pahls“ 1308er-Stein einen Stein mit der vermeintlichen Jahreszahl 1224, jedoch wird aus dem vorherigen Grenzbegehungsprotokoll aus dem Jahr 1724 deutlich, dass sich auch einmal die Grenzsteinprofis verlesen konnten: Der Stein wurde nämlich in jenem Jahr erst gesetzt und mit der entsprechenden Jahreszahl versehen. Die 7 wurde versehentlich als 2 gelesen.
Kann womöglich auch bei der 1308 ein Lesefehler vorliegen? Bei dem ersten noch existierenden Bischofsheimer Begehungsprotokoll aus dem Jahr 1569 wird der Stein vermutlich beschrieben, allerdings wird die eingehauene Jahreszahl nicht angegeben. In den Mitschrieben aller sechs noch auffindbaren, späteren bischofsheimer Grenzgänge zwischen 1608 und 1873 wird der Stein dann aber jedes Mal mit der eingemeißelten Jahreszahl 1308 gelistet. Auch die Grünsfelder Feldschieder haben regelmäßig ihre Gemarkungsgrenze umrundet. Von ihnen gibt es im Stadtarchiv Grünsfeld (Buch B 1) noch Protokolle aus den Jahren 1543, 1642, 1687 und 1706. Bei allen vier lässt sich der alte Märker anhand seiner Beschreibung, der seines Standorts und seines unverwechselbaren, jeweils zuvor genannten Nachbarsteins (Dreimärker Bischofsheim – Grünsfeld – Dittigheim) zuverlässig identifizieren; seine Jahreszahl wird aber nie notiert. Dafür werden den steilen Hang durch die Grünsfelder Tannen herunter am Rödersteingraben zwei bzw. sogar drei andere Grenzsteine aufgezählt, auf denen die Jahreszahl 1308 gestanden hätte. Auch diese Steine grenzten zur Bischofsheimer Markung ab. Wieso haben die büschemer Landschieder diese Steine nicht erwähnt?
Sowohl in den Grünsfelder als auch in den Bischofsheimer Begehungsprotokollen folgt auf 1308 erst einmal fast 100 Jahre lang kein weiterer datierter Stein. Auf bischemer Gemarkung folgen 1400 und 1406 zaghaft wieder einzelne datierte Steine. Aus dieser Zeit ist aber kein Stein mehr erhalten. Der älteste noch vorhandene datierte Stein steht auf der Grenze mit Königheim und ist aus dem Jahre 1474. Ihm widmet sich der nächste Artikel dieser Serie. Er unterscheidet sich in seiner Form und der Gestaltung der Inschrift deutlich vom 1308er-Stein. 34 Jahre später, im Jahr 1508, wurden dann gleich mehrere Steine auf der Tauberbischofsheimer Gemarkungsgrenze gesetzt, mit Jahreszahl und Mainzer Rad mit drei b in einem Wappenschild versehen. Diese Steine ähneln auffallend dem vermeintlichen Methusalem aus dem Jahr 1308. Wieso sollte der 1474 gesetzte Stein also derart aus der Reihe fallen? Ist der alte Stein vielleicht doch ein Stein der 1508er-Reihe, wurde seine 5 unsauber eingehauen und später dann als 3 erkannt? Einer dieser aus den Protokollen ersichtbaren Steine aus dem Jahr 1508 stand beim Dittwarer Heidenkessel. Von ihm sind heute nur noch Bruchstücke vorhanden. Auf einem steht die Jahreszahl, die Hunderterzahl wirkt wie ein Zwitter aus 5 und 3. Auch Steinmetze waren damals nicht unbedingt geübt in der Schrift, manche mögen gar Analphabeten gewesen sein.
Ein direkter Vergleich der beiden heute noch vollständig erhaltenen 1508er-Steine mit ihrem potenziell exakt 200 Jahre älteren Verwandten könnte vermutlich Klarheit bringen. Doch leider befindet sich der von Pahl beschriebene alte Stein nicht mehr an seinem angestammten Platz. Er ist wohl schon seit ein paar Jahrzehnten spurlos verschwunden. Womöglich wurde er vorsorglich entfernt, bevor der (mittlerweile ehemalige) Bundeswehr-Truppenübungsplatz auf der Brachenleite (heute Naturschutzgebiet) in Betrieb genommen wurde, denn sein Standort war an dessen Randbereich. Wahrscheinlicher ist leider, dass er gestohlen wurde, nachdem er durch Pahls Heimatbuch regionale Popularität erlangt hatte. Vielleicht könnte durch eine Begutachtung das Rätsel seines wahren Alters dann endlich gelöst werden. Und natürlich sollte er wieder an seinen Originalstandort zurückkehren, denn nur da gehört er hin. Vielleicht stößt ja jemand auf diesen Beitrag, der weiß, wo sich der Grenzstein aktuell befindet. Dann bitte melden! Der Autor ist über jeden -auch anonymen- Hinweis dankbar.
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